BR-KLASSIK

BR-KLASSIK: Herr Afkham, das ist Ihr Debüt beim Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks. Da gibt es sicherlich kein Patentrezept, wie man da vorgeht. Wie gehen Sie persönlich vor, wenn Sie zu einem für Sie neuen Orchester kommen?

David Afkham: Klar, das ist immer was Besonderes, der erste Kontakt zu einem Orchester, mit dem man zum ersten Mal arbeitet. Die Lösung ist eigentlich die Musik selber: Sehr gut vorbereitet sein, eine klare Vorstellung haben, was man möchte, im Dienste der Komponisten natürlich – und dann schauen, dass die Chemie irgendwie stimmt, denn wir sind ja alle Menschen. Und manchmal gibt es auch Situationen, in denen es vielleicht ein bisschen mehr Zeit braucht, bis man sich herantastet und aufeinander einstimmt. Und zwar mit Respekt: Den Musikerinnen und Musikern gegenüber, im Dienste der Sache, um das Beste für die Musik rauszuholen. Dann ist es eigentlich immer eine Freude, mit jedem Klangkörper zu arbeiten. Und da spüren die Musikerinnen und Musiker auch, dass es um die Musik geht und dass man einfach das Beste für die Musik geben möchte. Dann findet man gleich zusammen. Aber ich muss ganz ehrlich sagen: Die Proben bis dato hier waren ein Traum, wunderschön.

BERNARD HAITINK – LEHRER UND MENTOR

BR-KLASSIK: Ihr wichtigster Lehrer war offenbar Bernard Haitink, der ja auch dem BRSO eng verbunden war. Sie haben ihn bei seinen Meisterkursen in Luzern kennengelernt. Besonders beeindruckt hat mich immer, wenn man ihm zugeschaut hat: Diese sehr sparsame Zeichengebung. Er hat fast nichts gemacht – und trotzdem hat er vom Orchester alles bekommen.

David Afkham:  Ja, das war schon ganz besonders, diese sehr klare Gestik. Aber mehr braucht man auch eigentlich nicht. Das reicht, um die Informationen an die Musikerinnen und Musiker weiterzugeben. Da muss nicht noch mehr vom eigenen Ich reinfließen, das stört teilweise sogar. Was bei Haitink ein kleine Geste war, war natürlich dann umso größer in seinem Willen, in seiner Konzentration, in seiner inneren Kraft.

Die innere Kraft ist bei Dirigenten dieser Kategorie unglaublich stark.

David Afkham über Bernard Haitink

Ich erinnere mich, ganz am Anfang beim ersten Kennenlernen 2006 in Luzern bei dem Meisterkurs, war von Brahms die Dritte Symphonie, zweiter Satz vorgesehen. Und da habe ich vor dem Orchester dirigiert. Und dann hat er gesagt: “David, darf ich mal kurz ran?” Und ich: “Ja natürlich, Maestro.” Allein schon wie er auf das Podium gestiegen ist, dann den Taktstock genommen hat und angefangen hat zu dirigieren, da saßen die Orchestermitglieder schon auf der Stuhlkante, so bezwingend war seine innere Kraft. Die kommt natürlich auch mit dem Respekt vor dem Alter und der Meisterschaft. Die Energie kommt nicht dadurch zustande, dass ich großräumiger dirigiere oder höher in die Luft springe und schwitze, sondern sie kommt durch diese innere Haltung, durch diese innere Kraft. Und das ist etwas, was bei dieser Kategorie von Dirigenten unglaublich stark war. Das gibt es heute immer weniger, muss ich leider sagen. Ich weiß nicht, ob es mir gelingt – ich versuch’s, aber es ist eine andere Dimension des Dirigierens.

FRANZ SCHMIDT – EIN REQUIEM FÜR SEINE TOCHTER

BR-KLASSIK: Neben der Passacaglia Opus 1 von Anton Webern und dem Violinkonzert von Alban Berg mit dem Geiger Christian Tetzlaff dirigieren Sie die Vierte Symphonie von Franz Schmidt, die bei uns weitgehend unbekannt ist. Schmidt war ein österreichischer Spätromantiker, ein Schüler von Anton Bruckner auch. Seine letzte Symphonie ist eine große Elegie mit einem Trauermarsch im Zentrum, und charakteristisch ist so ein Trompetenmotiv. Wie sind Sie auf dieses Stück gestoßen?

David Afkham: Ich habe das in den letzten Jahren kennenlernen dürfen in verschiedenster Art, in Aufnahmen und Live-Konzerten. Und ich habe eine starke Affinität entwickelt zu dieser Klangwelt. Schmidts musikalische Sprache ist eine Sprache der Farben und des Ausdrucks, die Anklänge an Mahler, teilweise auch an Zemlinsky aufweist – und ein bisschen Strauss ist da auch drin. Aber wenn man sich wirklich darauf einlässt, ist es schon eine ganz eigene Sprache, die jetzt in den letzten Jahren wieder vermehrt gespielt wird. Was mich freut, weil nach Mahler, Strauss und Zweiter Wiener Schule Komponisten wie Schmidt, Schreker und auch Zemlinsky weniger gespielt waren.

Ich wusste, dass die Vierte Symphonie von Franz Schmidt beim Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks noch nie aufgeführt wurde. Und deswegen dachte ich, das müssen wir einfach auch dem Publikum präsentieren. Auch für diese Symphonie ist es wichtig zu wissen, was das ist: Es ist ein Requiem wie Bergs Violinkonzert. Franz Schmidt hat es für seine Tochter geschrieben, die mit 30 Jahren nach der Geburt ihres ersten Kindes verstorben ist. Auch Schmidt stand am Ende seines Lebens. Und man sagt natürlich, dass seine letzte Symphonie ein Requiem nicht nur für seine Tochter, sondern – wie Bergs Violinkonzert – auch für ihn selbst gewesen ist.

DIRIGENT DAVID AFKHAM: “HOFFNUNG STATT TRAUER”

BR-KLASSIK: Ein Programm, das vorwiegend aus instrumentalen Requiem-Kompositionen besteht, passt irgendwie gut in den November?

David Afkham: Ja, das passt in den November – und passt vielleicht auch in unsere Zeit, die doch ziemlich düster ist gegenwärtig. Ich bin eigentlich kein dunkler Mensch innerlich oder traurig. Aber was jetzt im Moment gesellschaftlich und gesellschaftspolitisch vor sich geht, da ist einem nicht gerade zum Lachen zumute, muss ich ganz ehrlich gestehen. Das Programm ist in sich sehr geschlossen, es hat sich einfach auch so ergeben. Und trotzdem sehe ich es nicht als etwas negativ Trauriges, sondern wie im Brahms-Requiem: Es ist Licht da drin. Da ist etwas Positives, da gibt es Hoffnung. Wir sollen nicht in Trauer enden, sondern es mehr in einer Verklärung enden lassen, auch in der größten Dunkelheit.

Ich liebe die Zweite Wiener Schule.

David Afkham, Dirigent

BR-KLASSIK: Sie scheinen überhaupt eine Affinität zur Spätromantik zu haben. Sie haben Rachmaninow gemacht, Schönbergs “Gurrelieder”, Zemlinskys “Lyrische Symphonie” und jetzt eben Franz Schmidt. Ist Ihnen diese Musik nah?

David Afkham: Ich bin da sicherlich auch ein bisschen von meinem Mentor Bernard Haitink geprägt. Die Basis ist ganz klar die Wiener Klassik, Haydn, Mozart und Beethoven, auch Schubert – das ist das Fundament, auf dem wir stehen. Das ist immer da, muss da sein, das ist das Zuhause. Aber ich gebe Ihnen recht: Ich liebe Mahler, Bruckner und Strauss vor allem, die Zweite Wiener Schule. Was auch die letzten Jahre gezeigt haben, in denen ich Mahler- und Bruckner-Zyklen, “Salome”, “Elektra”, “Tristan” und “Parsifal” machen durfte. Ja, da fühle ich mich sehr zuhause. Ich gebe es zu. Was nicht heißt, dass ich nicht auch anderes mache. Aber ja, da ist eine große Liebe vorhanden.

KAMMERMUSIK – AUCH IM ORCHESTER

BR-KLASSIK: Das sind ja sehr komplexe Partituren, in der Regel auch sehr große!

David Afkham: Ja, das sind große Partituren. Das ist aber auch eine Freude, das zu analysieren, zu erhellen und durchsichtig zu machen. Also nur laut und Lautes, das ist der falsche Weg. Es ist immer der Gedanke, dass wir von der Kammermusik herkommen, dass wir einfach gemeinsam hören. Und ich habe jetzt auch in der Arbeit mit dem Symphonieorchester immer wieder darauf hingewiesen: Schauen Sie, da spielen Sie zusammen. Oder: Da muss es einfach durchsichtiger werden, hier nur von der Ferne tönen. Oder dass diese erste Stimme mehr im Vordergrund steht, ohne dass man gegeneinander spielt. Und dadurch entstehen dann plötzlich auch diese Klänge. Ich hoffe, dass es auch jetzt gelingen wird.

SCHLUSS MIT PULTTYRANNEN

BR-KLASSIK: Die Generation der großen alten Dirigenten, die teilweise auch Pultdiktatoren waren, tritt ja so langsam ab. Was ist heute gefragt? Sie sind ja mit 40 Jahren ein relativ junger Dirigent…

David Afkham: Ganz ehrlich, es gibt noch viel jüngere Dirigenten, die Zeit hat sich geändert. Es gibt jetzt Dirigenten mit Anfang 20. Ich bin schon alt, aber das nur am Rande. Nein, im Ernst: Die Generation dieser Pultdiktatoren, das ist vorbei, das ist ganz klar. Es ist alles viel demokratischer, vielmehr ein Miteinander, was auch so sein soll. Die Orchester sind es auch. Die Verantwortung liegt bei jedem einzelnen Musiker, jeder einzelnen Musikerin. Und dadurch bekommt auch der Geist und das Ethos eines Klangkörpers viel mehr Gewicht und Selbstidentität. Was natürlich nicht heißt, dass eine ganz klare musikalische Idee immer vorhanden sein muss. Man kommt als Dirigent mit einer Idee an, man hat eine Vorstellung und versucht natürlich auch, sie zu übermitteln. Aber wenn das, was vom Orchester angeboten wird, noch schöner, noch besser, logischer oder mehr im Dienste des Komponisten ist – ja, warum denn nicht? Dann nimmt man das natürlich an.

Es ist ein gemeinsames Miteinander.

David Afkham, Dirigent

David Afkham: Ich sehe mich immer als “Primus inter Pares”, und am Ende gibt es vielleicht auch an gewissen Stellen mehrere Meinungen. Dann natürlich muss eine Entscheidung getroffen werden – und das macht dann am Ende der Dirigent. Aber für mich ist es eben ein Miteinander. Wir selbst, wir klingen ja nicht. Ich schlage eine Eins – und es klingt nichts. Es sind die Musikerinnen und Musiker, um die es geht und vor denen wir als Dirigenten den größten Respekt haben sollten.

NERVOSITÄT ALS DIRIGENT? – VOR DER ERSTEN PROBE SCHON!

BR-KLASSIK: Dirigieren ist sicher ein sehr adrenalingesättigter Beruf in dem Moment, wo man auf die Bühne geht, wie so ein Abend gelingt oder eben nicht gelingt. Was erdet Sie, Herr Afkham?

David Afkham: Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Ich bin aufgeregter vor der ersten Probe als vor dem Konzert. Denn da ist dieses besondere Kennenlernen des Klangkörpers, diese Chemie, von der ich schon gesprochen habe. Anfangs ist das immer eine besondere Situation, aber natürlich ist im Konzert diese Spannung, diese innere positive, dieses Aufgeregte auch da. Was erdet mich? Ich denke, der Glaube und das Vertrauen in die Musikerinnen und Musiker, in die Musik ist ganz wichtig. Dass man nicht anfängt, irgendwie alles kontrollieren zu wollen. An gewissen Stellen müssen wir kontrollieren, ganz klar. Aber die Freude und die Inspiration zu übertragen, ist ein Anker. Wenn er sich überträgt und dieses gemeinsame Empfinden erzeugt wie so ein Vogelschwarm.

Karajan hat das mal sehr schön beschrieben: Wie ein Vogelschwarm, der sich in jegliche Richtung verformt und wunderbar ästhetisch dabei ist. Wenn man das spürt und erreichen kann, dann ist das eins und braucht keine Erdung mehr. Man fliegt sozusagen gemeinsam. Aber natürlich ist noch eine andere Erdung dabei. Das ist die Familie, das ist zu Hause sein, das ist, wie wir leben. Wir wohnen nicht unweit von hier im Frankenland, in Feuchtwangen. Jetzt in München zu dirigieren, ist einfach wie zu Hause zu sein, und es ist schön. Ich freue mich riesig. Und ja, ich bin auch ein bisschen stolz, hier zu sein.

Man fliegt sozusagen gemeinsam.

David Afkham über Musizieren mit der richtigen Inspiration

BR-KLASSIK: Sie sind ja mit einer berühmten Sängerin verheiratet, mit der Sopranistin Christiane Karg. Sie musizieren mit ihr, Sie haben mit ihr auch ein Album aufgenommen: “Parfum”. Sie haben das Vertrauen angesprochen. Da ist das Vertrauen wahrscheinlich perfekt, wenn man sich so gut kennt?

David Afkham: Ja klar, da ist ein sehr tiefes Vertrauen zu meiner Frau. Ohne das geht es nicht. Wir arbeiten allerdings gar nicht so oft zusammen. Es gibt schöne Projekte von Mahler bis Berg, aber auch diese Aufnahme mit französischem Repertoire, die Sie angesprochen haben, liegt jetzt schon mehr in der Vergangenheit. Aber wenn wir zusammenarbeiten, dann versteht man sich ohne Worte, das ist klar. Andererseits ist interessant: Man ist dann auch wieder in einem professionellen Modus, wo man als Dirigent oder als Sängerin funktionieren muss, das sind dann wieder andere Konstellationen. Aber ja, mit meiner Frau zusammenzuarbeiten, ist immer ein Geschenk.

BR-KLASSIK: Und unter Künstlern tauscht man sich halt auch aus, wahrscheinlich über den ganzen Betrieb. Man kann ja ganz offen über alle möglichen Dinge sprechen…

David Afkham: Ja, wir sprechen viel – natürlich über unseren Beruf. Das ist Teil unseres Seins, weil unser Beruf ja auch eine Berufung ist. Das ist sehr schwer zu trennen vom Privatleben, weil das alles so ineinanderfließt. Aber ich sage Ihnen ganz ehrlich: Wir haben zwei kleine Kinder von vier und zwei Jahren. Es sind im Moment noch ganz andere Dinge wichtig, die wir gemeinsam planen. Wir arbeiten natürlich viel, wir sind international tätig. Da geht es um das Abstimmen des Kalenders, auch darum, Kinder mitzunehmen, bis jetzt sind sie natürlich noch im Kindergarten. Aber 2025 – und das ist bald! – geht unser Kleiner dann in die Schule. Und da wird sich auch noch mal einiges ändern in der Planung und in der Diskussion über Musik und so, das ist vollkommen klar. Aber es ist eine unglaublich intensive, reiche, tiefe Zeit, die vieles auch ins Lot bringt, muss ich ganz ehrlich sagen. Also wenn ich das vergleiche mit meinem früheren Leben, wo man schlaflose Nächte hatte und sich dauernd Gedanken gemacht hat, wie diese oder jene Phrase funktionieren würde. Mein Gott, das ist überhaupt nicht wichtig. Ist natürlich wichtig, aber viel wichtiger ist, dass der Kleine oder die Kleine gesund sind und dass man das alles hinbekommt, mit dem Kindergarten oder den Reisen. Es ist vieles andere doch auch ganz wichtig.

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David Afkham: “No me interesa la música que se conforma con ser bonita”

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